Mit seiner Entscheidung vom 09.02.2022, Az. 12 U 54/21, bestätigt das OLG Düsseldorf seine „Start-up-freundliche“ Rechtsprechung: Danach kann im Rahmen der Überschuldungsprüfung nach § 19 InsO eine positive Fortführungsprognose eines Start-Ups auch dann bestehen, wenn im relevanten Prognose-Zeitraum kein eigener Ertrag erzielt wird. Allerdings muss überwiegend wahrscheinlich sein, dass das Unternehmen in der Lage sein wird, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen durch externe Finanzierungsmittel zu decken.
Mit dieser Entscheidung setzt das OLG seine Rechtsprechung (Beschluss v. 20.07.2021, Az. 12 W 7/21) zum Thema „Fortführungsprognose bei Start-Up-Unternehmen“ fort. Und das trotz eines zwischenzeitlich ergangenen restriktiveren BGH-Urteils. Der BGH hatte nämlich zwischenzeitlich (Urteil v. 13.07.2021, II ZR 84/20) entschieden, dass „weiche Finanzierungszusagen“ bei der Bejahung einer positiven Fortführungsprognose nur eine absolute Ausnahme spielen können. Wurde die Zufuhr von finanziellen Mitteln nicht verbindlich geregelt, sind dem Beurteilungsspielraum der Geschäftsleitung vor dem Hintergrund der Interessen der Gläubiger des Unternehmens enge Grenzen gesetzt, so der BGH.
Das OLG Düsseldorf betont zwar ebenfalls diese Ausnahmerolle solcher Finanzierungszusagen. Es sieht diese allerdings offenbar weniger streng als der BGH. Allerdings betont auch das OLG die Wichtigkeit von Planungen. In dem vom OLG zuletzt entschiedenen Fall ging es im Wesentlichen um eine Haftung für Zahlungen, die ein Geschäftsführer nach Insolvenzreife einer GmbH pflichtwidrig geleistet bzw. vereinnahmt haben soll. Die Gesellschaft war erst mit Gesellschaftsvertrag vom 07.11.2013 errichtet worden. Aus dem Jahresabschluss der GmbH für das darauffolgende Jahr 2014 ergab sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag. Insolvenzantrag stellte der Geschäftsführer aber erst im Frühjahr 2017.
Bei einer positiven Fortführungsprognose wäre der Geschäftsführer trotz Überschuldung berechtigt gewesen, das Unternehmen fortzuführen. Er hätte dann also trotz Überschuldung zum Stichtag 31.12.2014 keinen Insolvenzantrag stellen müssen. Ein Erstattungsanspruch des Insolvenzverwalters bezüglich der vom Geschäftsführer geforderten Beträge hätte dann auch nicht bestanden.
Eine entscheidende Rolle spielten vorliegend mehrere Darlehen einer Gesellschafterin, deren Auszahlung streitig war. Dabei kam das Thema „weiche Finanzierungszusage“, zum Tragen. Davon spricht man, wenn sich ein Geldgeber zwar Gelder in Aussicht stellt, sich aber gerade nicht rechtsverbindlich hierzu verpflichtet.
Das OLG Düsseldorf hatte vorliegend im Ergebnis eine positive Fortführungsprognose verneint. Der Geschäftsführer hätte also früher Insolvenzantrag stellen müssen. Die Feststellungen des OLG waren dabei im Wesentlichen wie folgt:
Start-Up-Unternehmen sind zur Umsetzung ihrer Ideen, zur Marktetablierung und Expansion in der Regel auf Außenfinanzierungen angewiesen. Der Rückgriff auf ihre Ertragsfähigkeit würde ihnen die Überlebensfähigkeit absprechen und sie zum Marktaustritt zwingen. Daher sind bei einer Prüfung der Fortführungsprognose bei einem Start-Up-Unternehmen die Besonderheiten derartiger Unternehmen zu berücksichtigen. Die Anforderungen an die Fortführungsprognose müssen diese Besonderheiten berücksichtigen. Diese sind:
- Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass das Unternehmen mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % in der Lage ist, seine im Prognosezeitraum fälligen Zahlungsverpflichtungen aufgrund der Bereitstellung oder Zusage externer Finanzierungsmittel zu decken.
- Eine erfolgversprechende Marktentwicklung stellt einen Umstand dar, aus dem sich eine solche positive Fortführungsprognose ergeben kann. Das allerdings setzt eine nachvollziehbare, realistische Finanzplanung mit einem operativen Konzept voraus. Dieses wiederum muss die geplante Geschäftsausrichtung erfolgversprechend erscheinen lassen.
- Allein die Zusage eines (finanzkräftigen) Investors, der das Unternehmen auch schon in der Vergangenheit mit Darlehen unterstützt hat, reicht als solche nicht aus. Dieser muss die Bereitstellung weiterer Mittel von der Vorlage einer aktuellen, nachvollziehbaren und realistischen Planung abhängig gemacht haben.
- Außerdem muss die Finanzierung durch weitere Darlehen des Investors bis zu einer erfolgversprechenden Marktentwicklung gesichert erscheinen.
Ist das nicht der Fall und hängt die Bereitstellung weiterer finanzieller Mittel in jedem Einzelfall allein vom Willen des Geldgebers ab, kann sich der Geschäftsführer nicht darauf verlassen, dass die Finanzierung des Unternehmens bis zu seiner erfolgreichen Etablierung am Markt gesichert ist.
Das zeigt: Ein Start-Up zu haben ist also kein Freischein. Auch für Geschäftsführer von Start-Ups ist es unerlässlich, immer am Ball zu bleiben. Es empfiehlt sich, Planungen mit fachlicher Begleitung zu erstellen und fortzuschreiben. Vage versprochene Geldspritzen helfen ebenso wenig wie das Prinzip Hoffnung auf einen Erfolg am Markt.
Advosolve Fachanwaltskanzlei, 13.07.2022
Mannheim, Karlsruhe, Heidelberg