Serie: man darf auch mal Glück haben!

Weiterführung des Geschäfts auf Namen einer anderen Person

Unsere Mandantin kommt zum Termin sichtlich deprimiert. Sie ist zwischen 35 und 40 Jahre alt. Lange hat sie es vor sich hergeschoben. Nun möchte sie endlich für den Rest ihres Lebens schuldenfrei sein.

Sie erzählt ihre Geschichte:

Ihr Vater war recht streng. Er war Einzelhändler und hatte ein Obst-Gemüsegeschäft. Irgendwann lief es in dem Geschäft schlecht. Es hatten sich viele Schulden aufgehäuft. Es blieb irgendwann nichts anderes mehr übrig. Ein Insolvenzverfahren wurde eingeleitet.

Der Vater wollte wieder ein neues Geschäft gründen. Das hätte er eigentlich mit eigenem Namen wieder starten können. Möglicherweise war er nicht ausreichend informiert. Jedenfalls wandte er sich an seine Tochter und wollte ein neues Geschäft auf ihren Namen. Sie war damals ein junges Mädchen, gerade mal Anfang 20. Angesichts des strengen Vaters gehorchte die Tochter auf seinen „Wunsch“.

Das Geschäft, wieder ein Obst- und Gemüsehandel, wurde nun also ausschließlich auf den Namen der Tochter geführt. Der Vater führte das Geschäft tatsächlich so, als wäre es sein eigenes. Unsere Mandantin hatte zwar ihren Namen gegeben, hatte faktisch aber nichts zu sagen. Eigentlich wollte sie das auch gar nicht. Sie hat praktisch gar nicht mitgearbeitet.

Exkurs: häufiges Vorgehen im täglichen Leben

Die Weiterführung eines insolventen Geschäfts auf den Namen eines Familienmitglieds ist ein weit verbreitetes Manöver. Früher hatte jemand, der sich einmal verschuldet hatte, keine Möglichkeit, sich von diesen Schulden zu befreien. Dann war es in der Regel auch praktisch oft unmöglich, ein neues Geschäft zu eröffnen. Man bekam keinen Kredit, die alten Gläubiger saßen einem im Genick das Finanzamt verpfändete munter eventuelle Guthaben. Erst seit 1999 mit der Einführung der Insolvenzordnung hat sich das geändert. Seitdem gibt es bei uns die Möglichkeit der privaten Entschuldung. Deswegen ist heute eine solche Vorgehensweise nur noch in ganz besonderen Fällen denkbar und sinnvoll.

Zurück zu unserem Fall:

Das Geschäft lief einige Zeit, dann entwickelte es sich jedoch wieder schlecht. Es gab wieder erhebliche finanzielle Probleme. Das Geschäft wurde geschlossen. Genaueres wusste die Mandantin aber nicht. Der Vater hatte ihr nichts weiter erklärt. Inzwischen hatte sich das Verhältnis zu ihm auch stark verschlechtert. Von ihm kamen praktisch gar keine Informationen mehr. Allerdings bekam unsere Mandantin damals vom Finanzamt Post. Dort war von Schulden in Höhe von ca. 100.000 € die Rede. Da das Geschäft auf ihren Namen lief, wollte das Finanzamt von ihr Geld.

Unsere Mandantin hat hierauf nicht weiter reagiert. Sie hat einfach den Kopf in den Sand gesteckt. Warum auch immer, das Finanzamt hat, so erzählt sie, keine weiteren Schritte gegen sie eingeleitet. Sie wisse aber genau, dass sie ca. 100.000 € dem Finanzamt schulde. Nun, nach über zehn Jahren, wolle sie sich endlich von diesen Schulden befreien und ein normales Leben führen.

Unsere Ermittlungen:

Für die beiden Geschäfte waren aufgrund der Standorte verschiedene Finanzämter zuständig. Hinzu kamen noch die Finanzämter der Wohnsitze des Vaters der Tochter.

Zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens muss man zunächst wissen, wem und aus welchem Grund etwas geschuldet wird. Danach entscheidet sich, ob ein Regel- oder ein Verbraucherinsolvenzverfahren einzuleiten ist. Wenn hier beim Finanzamt Verbindlichkeiten aus Lohnsteuer bestanden hätten, wäre es ein Regelinsolvenzverfahren geworden. Sofern es nur Verbindlichkeiten aus Einkommen- oder Umsatzsteuer gewesen wären, hätte ein Verbraucherinsolvenzverfahren begonnen werden müssen. Dieses hat etwas andere Voraussetzungen, insbesondere muss ein Vorverfahren durchgeführt werden.

Wir haben also mit allen Finanzämtern, die in Betracht kamen, Kontakt aufgenommen. Wir haben um Übersendung von aktuellen Aufstellungen der bestehenden Schulden gebeten. Dazu haben wir alle bekannten und eventuellen Steuernummern angegeben, ebenso Adressen der Geschäfte und der zwischenzeitlichen Wohnorte.

Ergebnis:

KEINE SCHULDEN!!!

Jedes der angeschriebenen Finanzämter gab uns die Rückmeldung, dass es keine Schulden gibt! Warum auch immer, es existierten keinerlei Verbindlichkeiten mehr. Weshalb das so war, war nicht mehr genau zu klären. Letztlich ist das dann auch egal.

Unsere Mandantin lebte also für zehn Jahre in dem falschen Glauben, dem Finanzamt 100.000 € zu schulden.

Erst unsere Ermittlungen haben aufgedeckt, dass alles ganz anders ist.

Man darf auch mal Glück haben!

Advosolve Fachanwaltskanzlei, 17.10.2022

Mannheim, Karlsruhe, Heidelberg, Frankfurt